KLEINE  RÜBENHEBER-TYPOLOGIE  AUS  DEM  ODERBRUCH

Kaum ein landwirtschaftliches Arbeitsgerät ist im Oderbruch so massenhaft eingesetzt worden wie der Rübenheber – und für kaum eine Region Europas ist dieses Gerät dermaßen typisch und allgegenwärtig gewesen wie hier.

Der Grund dafür ist einerseits, daß das Oderbruch seit der ersten Hälfte des 19. Jh. ein wichtiges Zentrum des Zuckerrübenanbaus geworden (und bis vor wenigen Jahren geblieben) ist. Andererseits ist der extrem bindige Oderbruchboden gerade zur Rübenernte feucht und unberechenbar, so daß Erntemaschinen oft nicht aufs Feld kommen.
In solchen Jahren wurden hunderte Erntehelfer benötigt, die alle mit diesem Gerät ausgestattet werden mußten. (Viele der hier gezeigten Stücke stammen aus dem Lager der LPG Neulewin für solche Einsätze, das 2007 aufgelöst wurde.) Aber in früheren Zeiten haben die Erntehelfer auch ihre persönlichen Werkzeuge mitgebracht. Einige davon sind hier geblieben, erkennbar an Eignerzeichen oder Punzen der Schmiedebetriebe, von wo sie als Handelsware auf die Märkte gelangten.

Im Laufe der Zeit hat der Rübenheber eine interessante Entwicklung ge-nommen. Es haben sich im Oderbruch verschiedene Typen und Sonder-formen herausgebildet, die hier kurz dargestellt werden sollen:
Der Rübenspaten ist die älteste Form, der Vorläufer des Rübenhebers (Nr. 1, 4, 14). Eine Weiterentwicklung erfuhr das Gerät in den 30er Jahren des 19. Jh. durch Johann Gottlieb Koppe, der im Oderbruch großflächig Zucker-rüben angebaut und 1837 seine erste „Runkelrübenzuckerfabrik“ gegründet hatte („Koppe-Spaten“, Nr. 19).
Der „klassische“ Rübenheber mit gebogenen Zinken, mit oder ohne Tritt, wird wie ein Spaten verwendet, d.h. hinter der Rübe in den Boden gesto-chen. Er wurde in der Dorfschmiede handgeschmiedet (Nr. 2, 17) oder in großen Schmiedebetrieben für den Agrarmarkt hergestellt (Nr. 6, 18, 22) oder in landwirtschaftlichen Betrieben (LPG-Schlosserei, -schmiede) aus vorhandenem Material, oft aus Abfällen, massenhaft produziert (Nr. 3, 12).
Im Oderbruch haben letztere den Namen „Grabener Gabel“ erhalten, be-nannt nach der Schlosserei der LPG Gieshof-Graben, wo in den 70er Jahren des 20. Jh. Massen solcher Gabeln im Rahmen der „Neuererbewe-gung in der sozialistischen Landwirtschaft“ produziert wurden.
Der Rübenzieher ist ursprünglich ein „klassischer“ Rübenheber, dessen Zinken senkrecht nach unten abgebogen wurden. Er wurde nicht mehr wie ein Spaten, sondern durch Einschlagen der Zinken vor die Rübe ähnlich einer Hacke verwendet. Diese Form des Gerätes ist um 1900 belegt („Kyff-häuser-Methode“). Ebenfalls im Rahmen eines „Neuerervorschlages“ aus der LPG Golzow wurde diese Methode nach 1960 im Oderbruch eingeführt und das Gerät fortan „Golzower Kralle“ genannt (Nr. 7, 20).
Diese „Kralle“ wurde in den 70er Jahren von der LPG-Schlosserei Neulewin weiterentwickelt. Der überflüssig gewordene Tritt fehlte jetzt völlig und das Gerät wurde insgesamt viel kleiner und leichter („Golzower Kralle Typ Neulewin“, Nr. 5, 8).
Sonderformen bilden vor allem die sogenannten „Möhrenheber“ mit eng aneinander liegenden, oft geraden Zinken (Nr. 11, 16, 21) sowie spezielle An- und Umbauten, die die Hebelwirkung verbessern sollten (Nr. 10).

Eine Bemerkung zum Stiel:
Je nachdem, ob die Rübe „gehoben“ oder „gezogen“ werden soll, und je nachdem, ob Futter- oder Zuckerrüben geerntet werden sollen, benötigt man verschiedene Stiellängen. Grob vereinfacht läßt sich sagen: Rüben-zieher haben durchschnittlich längere Stiele als Rübenheber, und: Zucker-rübenheber haben durchschnittlich längere Stiele als Futterrübenheber.
Der Grund dafür ist die Wuchsform der Rübe.
Die Futterrübe ragt weit aus dem Boden und steckt nur zum kleinen Teil in der „klebrigen“ Erde. Der Rübenheber wird mit einer Hand – ggf. unter-stützt durch den Fuß-Tritt unterstützt – hinter die Rübe gestochen; gleich-zeitig zieht die andere Hand die Rübe am Kraut nach oben. Erst dann wird das Kraut abgeschlagen (siehe: Rübenmesser/Rübenbeil im Studiolo).
Die Zuckerrübe steckt viel tiefer im Boden, nur ein kleines Kopfstück und das Kraut ragen heraus. Hier wird zuerst das Kraut geköpft (siehe: Rüben-köpfschippe im Studiolo) und dann die Rübe aus der Erde gehebelt.

Eine Bemerkung zum Alter der Geräte:
Eiserne Werkzeuge lassen sich generell nur sehr schwer datieren. Wenn der Stiel original erhalten ist, kann man aber vermuten, daß die ältesten Rübenheber kurze Stiele haben, denn der langstielige Zuckerrübenheber kam erst mit der Zuckerrübe im 19. Jh. ins Oderbruch.
Allerdings gibt es oft „moderne“ kurzstielige Rübenheber, da die Futterrübe ja weiterhin auf Bauernhöfen angebaut und nicht immer maschinell geerntet wurde (und bis heute wird).

Die hier gezeigten Rübenheber stammen
- aus der Sammlung des Freilichtmuseums Altranft (Nr. 10, 17, 18, 19, 23),
- alle anderen aus der Sammlung der Hofgesellschaft Neulewin e.V., die
  das Gerät seit 2002 als Vereinslogo verwendet.

[P. Herbert, im März 2018]