Ausstellung im Studiolo

DACHZIEGEL & DACHSTEINE VON DÄCHERN IM ODERBRUCH


(1) Ziegelfabrikation im Oderbruch
Im Oderbruch und seiner unmittelbaren Umgebung gab es schon weit vor der Trockenlegung mehrere nicht unbedeutende Ziegeleien, so u.a. in Prötzel (1585), Altfriedland (1595), Heegermühle (1699), Biesow, Haselberg, Leuenberg und Prädikow (1700). Die Ziegeleiarbeiter förderten den Ton in der einfachsten Weise mit Hacken und eisenbeschlagenen Holzspaten zutage und kneteten ihn mit Händen und Füßen. Für den Brand verwendete man den Feldbrandofen, der den bekannten Feldbacköfen ähnelte und auch ähnlich funktionierte. Daher heißt der Ziegler mancherorts auch Ziegelbäcker und der Ziegelstein Backstein.

"Der feste Ton im Oderbruch hat von jeher ein außerordentlich tüchtiges und geeignetes Rohmaterial für die Ziegelfabrikation ergeben," schreibt Rudolf Schmidt 1928 im Oberbarnimer Kreiskalender. Auch aus anderen Quellen erfahren wir, daß der im Oderbruch vorkommende "Alluvialton" - von alluvion [lat.: Anspülung, Anschwemmung] – für die gute Qualität der hiesigen Ziegel verantwortlich ist. Die Nähe zur Oder erleichterte den Abtransport der fertigen Ziegel, und beide Faktoren führten schon früh dazu, daß sich das Oderbruch zu einer "Ziegeleiregion"entwickeln konnte.

Der eigentliche Aufschwung der Ziegeleien im Bruch erfolgte nach der Trockenlegung im 18. Jahrhundert. Die friderizianische Kolonisation und die damit im Zusammenhang stehenden Bauprojekte benötigten eine bis dahin ungeahnte Menge Ziegel. So wurde Ende 1753 der Ziegelmeister Vastree aus Glogau vertraglich verpflichtet, bis zum Sommer 1754 (!) 800.000 bis 1 Million Mauer- und Dachziegel ins Oderbruch zu liefern, und zwar ausschließlich für die schnelle Fertigstellung des "neuen Etablissements an der Lietzegöricker und Wustrower Grenze," womit das Dorf Neu-Lietzegöricke gemeint war. Wenn man bedenkt, wie viele Dörfer damals fast gleichzeitig mit ebenso vielen Ziegeln beliefert werden mußten, bekommt man eine Vorstellung von der gigantischen Bauleistung zu dieser Zeit.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es mit dem Ausbau der Verkehrswege, nicht zuletzt der Eisenbahn, noch einmal zu einem ähnlich großen (wenn auch über längere Zeit verteilten) Aufschwung der Oderbruchziegeleien.
Die Eisenbahn und auch die gleichzeitig entstehenden teuren "Actien-Chausseen"quer durch das Bruch konnten sich nur lohnen, weil die im Bruch ansässigen technischen Nebengewerbe – wie Zuckerfabriken, Brennereien, Stärke- und Sirupfabriken und Ziegeleien – einträgliche Erwerbsquellen für die Oderbrücher geworden waren. Nicht zuletzt trug (nach 1850) auch der Übergang der Landwirte zum massiven Ausbau ihrer Wirtschaften dazu bei.
"Jeder Landwirt, ganz gleich welcher Besitzgröße, legte im Oderbruch auf ansehnliche, saubere Gebäude immer besonderen Wert. Scheunen, Ställe und Wohnhaus wurden oft so massiv gebaut, daß sie Jahrhunderte überstehen können. Diese Solidität ist den Oderbrüchern in der Nachkriegszeit [1. Weltkrieg] zustatten gekommen, als ihnen infolge der zehrenden Agrarkrisis alle Barmittel zu Neubauten oder Ergänzungen, ja oft selbst zur Unterhaltung fehlten"(Mengel, II, 230).

(2) Dachziegel aus Oderbruchziegeleien
Nicht jeder Ziegelton eignet sich auch für die Herstellung von Dachziegeln, vor allem, wenn sie nicht zu schwer sein sollten. Der an vielen Stellen im Oderbruch wenige Fuß unter der Oberfläche vorkommende lehmige Ton (Alluvialton) lieferte schon bei deutlich unter 1000 Grad Brenntemperatur einen soliden (Biberschwanz-) Dachziegel. Das führte zur Entstehung vieler Ziegeleien im Oderbruch auf engem Raum.
Nach Informationen des Heimat- und Geschichtsvereins Neulewin (mdl. Mitt. G. Rhode, 1997) haben um 1900 noch mindestens 7 größere Ziegeleien in und um Neulewin Biberschwanzziegel produziert: Kerstenbruch, Karlshof, Altmädewitz, Thöringswerder, Altreetz und 2 Betriebe in Karlsbiese. Über Daten zur Geschichte dieser so genannten Feldziegeleien, ihre Besitz- und Arbeitsverhältnisse usw. ist heute praktisch nichts bekannt. Auch die Zuordnung der Oderbruchziegel zu einzelnen Ziegeleien ist heute fast unmöglich. Nur die großen Ziegeleien hatten einen eigenen Stempel – und gestempelt (mit Ziegelei-Eignerzeichen versehen) wurde gewöhnlich nur die erste Wahl.
Nr. 6:     Schmuckziegel mit Stempel- (4x "Kerstenbruch") und Kammschmuck, s.u.

(3) Rathenower Biberschwanzziegel auf historischen Dächern im Oderbruch
Da die Oderbruchziegeleien den Bedarf – besonders während der Kolonisierung im 18. Jahrhundert - nicht decken konnten, mußten Ersatzlieferanten verpflichtet werden. So sind beispielsweise die Ziegeleien Bellinchen, Altküstrinchen und Glogau (im heutigen Polen) auf alten Dächern des Oderbruchs noch vertreten.
Vor allem die Ziegeleiregion um Rathenow war spätestens seit dem 18. Jahrhundert weithin bekannt für besonders dünne, leichte, aber haltbare Dachziegel. Noch heute kann man im Oderbruch historische Dachdeckungen mit Rathenower Ziegeln finden, die von verschiedenen Ziegeleien ins Bruch geliefert wurden. Mindestens 14 Rathenower Ziegeleien sind als Ersatzlieferanten für das Oderbruch dokumentiert, davon 12 in der Ausstellung: Nr. 16-27.

(4) Biberschwanz-Formen
Die im Oderbruch gebräuchlichsten Biberschwanz-Formen sind der Halbrund-Schnitt Nr. 3 und der Segment-Schnitt Nr. 4. Selten sind Spitz- oder Rauten-Schnitt Nr. 2 oder andere Formen zu finden. Die senkrechten Wasserablauf-Rillen wurden ursprünglich mit der Hand (Nr. 1, 2), später mittels Zieglerkamm in jeden Ziegel einzeln eingestrichen (Nr. 3, 19, 20). Nach 1900 übernahm die Strangpresse diese Arbeit automatisch (Nr. 13, 15).

Der Biberschwanzziegel wurde gewöhnlich doppelt gedeckt, wie die Beispiele Mitte ("Deutsch-Doppelt"-Deckung) und rechts (Kronendeckung) zeigen.
Die Einfach- oder Splißdeckung fand vor allem bei Nebengebäuden Anwendung. Man benötigte weniger Ziegel; die Zwischenräume zwischen zwei Ziegeln wurden mit Holzbrettchen (Splissen) geschlossen, die eigens vom "Splißhauer"oder "Splettstößer" hergestellt wurden: Beispiel links.

(5) "Feierabendziegel" und andere Besonderheiten
Verzierte Dachziegel sind nicht immer "echte"Feierabendziegel, die den letzten Ziegel des Tages kennzeichnen und das Fest des vollbrachten Tagwerks einleiten sollten.
Schmuckziegel hatten beispielsweise die Aufgabe, dem Bauherrn die Zufriedenheit des Handwerkers zu zeigen und so Trinkgeld zu erhalten. Sie wurden dem Bauherrn feierlich überreicht oder an sichtbarer Stelle mit eingedeckt.
Am häufigsten findet man den "Kammschmuck", der mit dem Zieglerkamm auf den noch weichen Ton aufgebracht wird (Wellen- oder Zickzack-Linien Nr. 30-33, andere Muster Nr. 29, 39, "Sonnenziegel"Nr. 36-38).
Auch aus technologischen und Abrechnungsgründen wurden Zeichen und Symbole in den Ziegel geritzt: Namenszug des Arbeiters Nr. 35, "Zählziegel"mit Nummer Nr. 41 u.a.m.
Eine seltene Besonderheit stellen die so genannten "Vexierziegel"dar, die geheime Wünsche an den Himmel senden sollten, wobei diese bis zur fertigen Eindeckung unbedingt geheim bleiben mußten, um in Erfüllung gehen zu können: Nr. 5.

(6) "Moderne" Dachziegel
Biberschwanzziegel sind "Flachziegel". Sie mußten, um ein dichtes Dach zu erhalten, doppelt gedeckt oder mit Spliß gedichtet werden.
Beim modernen "Falzziegel" wurde gewissermaßen der Spliß mit dem Ziegel verbunden, was mit der Einführung der Strangpresse um 1900 möglich wurde. Dadurch erübrigte sich die doppelte Deckung, und die Dächer wurden leichter.
Beim Kleinen und Großen "Kodersdorfe"- Kodersdorf/Sachsen, seit 1908, Nr. 11-12 – ist die Herkunft vom Biberschwanz-Flachziegel noch gut erkennbar.
In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts setzte sich der Großfalzziegel immer mehr durch, der für das Oderbruch vor allem aus Freienwalde – Alaunwerk Freienwalde a./O Nr. 7 und fast identisch aus Hansdorf/Kreis Sagan in Schlesien, Zeipauer Werke – kam.

Ein großer Teil der "Neubauernhäuser" (ab 1947) und der Typenbauten für das Arbeiterwohnungsbauprogramm "Industriearbeiter aufs Land"ab Anfang der 50er Jahre wurde mit dem Nitzower Großfalzziegel Nr. 9 gedeckt, der ab 1950 massenhaft in Zwangsarbeit produziert wurde (VEB[K]Dachziegelwerk Nitzow; Militärstraflager Berndshof, ab 1957: Haftarbeitslager Nitzow b. Havelberg).

Ein typischer Dachziegeltyp soll hier nicht unerwähnt bleiben, der im Oderbruch  spöttisch "Lausitzer Klapperstein"genannt wurde: ein klassischer Biberschwanz-Ziegel aus der Strangpresse, vorzugsweise aus Bernsdorf und Kodersdorf in Sachsen, aber auch aus Jessen/Anhalt: siehe die Dachdeckungsbeispiele links, Mitte, rechts.
                 
(7) Dachsteine
Infolge der Fortschritte in der Silikatforschung Anfang des 20. Jahrhunderts (besonders: Festungspionierschule Berlin-Karlshorst und Kaiser-Wilhelm-Institut für Silicatforschung Berlin-Dahlem) konnten sehr haltbare Dach“ziegel"aus Beton oder Glas in großer Menge hergestellt werden. Der erste brauchbare Betondachstein für das Oderbruch kam – seit 1927 - von der Firma A. Meyenberg Altcüstrinchen: Nr. 8.

Der "Ranfter Doppelbibe" Nr. 13, ein Flach“ziegel"für die Kronendeckung aus gefärbtem Beton, der auch ohne halbe Steine am Ortgang ein dichtes Dach ermöglichte, scheint sich über das Oderbruch hinaus nicht durchgesetzt zu haben. Wo und wann genau er (in Altranft?) produziert wurde, konnte noch nicht ermittelt werden.

In den frühen 60er Jahren war es sogar üblich, Betondachsteine direkt vor Ort an der Baustelle mittels einer Model-Maschine herzustellen: das Beispiel Nr. 10 stammt aus Wriezen, die Eisen-Model aus der Sammlung des Oderbruch Museum Altranft.

[P. Herbert, im April 2019]

(8) Beispiele in der Ausstellung

1 "Kirchenbiber", wahrscheinlich erste Deckung, 15. Jh., Kirche Trampe
           
2 "Kirchenbiber"Rautenschnitt, vor 1700, Stiftskirche Neuzelle

            
3 Biberschwanz, Halbrundschnitt, Oderbruch

4 Biberschwanz, Segmentschnitt, Oderbruch

5 Vexierziegel, Karlshof/Oderbruch


6 Biberschwanz, Schmuckziegel, Kerstenbruch


7 Großfalzziegel, Freienwalde

8 Betondachstein, Altküstrinchen, um 1928

9 Nitzower Falzziegel, nach 1945

10 Betondachstein mit Eisenmodel, Wriezen, um 1960

11 Kleiner Kodersdorfer

12 Großer Kodersdorfer

13 Ranfter Doppelbiber

14 Glas-Biberschwanz mit Drahtgeflecht

15 Lüfterziegel


Biberschwanzziegel aus verschiedenen Rathenower Ziegeleien

19

20

21

25

Biberschwanzziegel mit Kammschmuck

31

32

34 Zählziegel

35 Biberschwanzziegel mit Namenszug "Krüger"

36 Sonnenziegel"

39 Schmuckziegel

40 Lausitzer Klapperstein

Die in der Ausstellung gezeigten Dachziegel und Dachsteine sind Teil der Ziegelsammlung der Hofgesellschaft e.V., Neulewin (Leihgabe Jan Rhode/Peter Herbert).